Andreas Seifert, Bonn
Redemanuskript für die Hiroshima-Nagasaki-Gedenkveranstaltung am 6. August 2024 in Bonn
- Es gilt das gesprochene Wort –
Liebe Freundinnen und Freunde,
Wir Mahnen mit dem Gedenken an den Atombombenabwurf von Hiroshima vor dem erneuten Bruch mit der Menschlichkeit – wir erinnern uns mit Schrecken dieser Tat, dem tausendfachen Sterben und der Kriegsgräuel eines Atomkriegs. Heute, oder auch am Flaggentag der Majors for Peace 8. Juli wurde die Gelegenheit hier in Bonn genutzt, eine atomare Abrüstung zu fordern.
Uns Bürgern wird die Notwendigkeit von Atomwaffen immer noch als Teil einer Abschreckungsdoktrin erklärt, die zum Ziel hat, den Frieden zu erhalten. Langsam – und das ist die Lehre aus den Debatten der letzten drei Jahre, die unter dem Eindruck des Völkerrechtswidrigen Ukrainekrieges geführt wurden – langsam wird auch dem letzten klar, dass diese Abschreckung alleine scheinbar nicht (mehr?) reicht, den Frieden zu erhalten.
Der von Russland begonnene Ukrainekrieg weckt hierzulande Ängste. Die nun auch in Europa wieder sichtbare Grausamkeit des Krieges und die menschlichen Dramen, die der Zerstörung folgen, haben wie ein Schock gewirkt.
Was bleibt, ist eine diffuse Angst in der Bevölkerung, selbst Ziel eines Angriffs zu werden. Im bewussten Spiel mit unseren Ängsten wird eine neue Agenda der Aufrüstung durchgesetzt. Die Bereitschaft in der Bevölkerung, so wird uns gesagt, den „zusätzlichen Aufwand“ für noch mehr Waffen zu akzeptieren, sei gestiegen.
Mehr noch, die neue politische Sprache der „Zeitenwende“ macht deutlich, dass Politiker*innen scheinbar immer unvoreingenommener, den Krieg, die kriegerische Auseinandersetzung, den Einsatz von Waffen, allen friedlichen Wegen der Konfliktbeseitigung vorziehen. Auch dies fördert Ängste.
Wir erleben eine Welle der Militarisierung in allen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens. In die Sprache unserer Politiker haben Wörter, wie Vernichtung, Zerstörung und ein umfangreiches militärische Vokabular Einzug gehalten. Hochschulen werden dazu angehalten, verstärkt die militärische Verwendung ihrer Forschung mitzudenken und das „Zivile“ zurück zu stellen. Schulen sollen dazu verspflichtet werden, der Rekrutierung der Bundeswehr die Türen zu öffnen. Nach dem Willen nicht weniger Politiker, erscheinen Jugendoffiziere bestens dafür geeignet, Sicherheit und internationale Politik in den Schulen zu erklären ... ob die militärische Sicht auf die Konflikte der Welt dabei hilft, diese friedlich beizulegen, darf bezweifelt werden. Selbst unsere Bürokratie und Wirtschaft sollen in ihren Entscheidungen und ihrem Handeln stromlinienförmig kriegstüchtig – kriegsbereit – werden.
Unser Verteidigungsminister spricht davon, dass wir in fünf Jahren mit einem Angriff Russlands rechnen müssen. Und er kennt nur eine Lösung: Mit dem Schulden-finanzierten Aufrüstungsprogramm von 100 Mrd. € für die Bundeswehr und die perspektivische Erhöhung des Bundeswehretats von derzeit 53,3 Mrd. € auf über 70 Mrd. € steckt dieses Land immer mehr Geld ins Militär – Geld, was an anderer Stelle, im Sozialen, in der Bildung in der Gesundheit fehlen wird.
Zuletzt wurden wir darüber informiert, dass nun auch wieder Mittelstreckenwaffen in Deutschland stationiert werden, über deren Einsatz, so steht zu vermuten, ein ferner US-Präsident entscheidet. Waffensysteme die auch mit Atomwaffen zu bestücken wären – was natürlich niemand vorhat.
Allerdings – und auch diese Debatte gibt es in der Politik – wird einmal mehr öffentlich darüber nachgedacht auch eigene Atomwaffen unter deutscher, oder „europäischer“ Kontrolle zu haben.
Mit diesen Schritten – zu denen auch die Debatte über die Wiederbelebung der Wehrpflicht gehört – bewegen wir uns Rückwärts in der Geschichte. Langsam aber sicher werden wir an den Gedanken neuer Kriege gewöhnt.
Man kann hier, wie Regierung, eine Unausweichlichkeit erkennen, eine Alternativlosigkeit die einer Aggression anderer, namentlich Russland, geschuldet ist. Man kann hier aber auch eine Spirale immer neuer Aufrüstungs- und Drohszenarien erkennen, die immer mehr unserer Kontrolle entgleitet.
Die Angst, die ich dabei spüre ist eine existenzielle – die Angst davor, dass irgendeinem, der in seiner Kriegsrhetorik gefangen ist, der Finger ausrutscht. Die Angst davor, dass wir mit all den Waffen um uns rum, zum Ziel werden.
Bonn ist eine besondere Stadt. Hier sind nicht nur Institutionen der internationalen Gemeinschaft, der UNO versammelt, sondern auch national wichtige Behörden und Ministerien – und auch Einrichtungen der Bundeswehr für Verwaltung, Planung und Kommando. Es wäre wichtig, wenn von hier wieder ein Signal ausgeht, Dialog, Verhandlungen und Diplomatie in den Vordergrund zu stellen.
Meine Erwartung an die Politik ist, diese Ängste ernst zu nehmen und diplomatische Maßnahmen zu ergreifen, die Spirale in den Krieg zu durchbrechen.
Meine Hoffnung ist, dass unser Gedenken an die Atomwaffenabwürfe in Hiroshima und Nagasaki gesehen und erst genommen wird.
Vielen Dank.
Dr. Andreas Seifert ist aktiv bei der DFG-VK Gruppe Bonn-Rhein-Sieg.